Das besondere Thema

 



Die Pfingstnelke: Juwel im Fels

Der Nationalpark Kellerwald ist als "Reich der urigen Buchen" bekannt. Doch daneben hat die reiche Gliederung der Landschaft eine Vielfalt weiterer Lebensräume entstehen lassen.
Je nach Gestein, Boden, Neigung der Hänge, Sonneneinstrahlung und Verfügbarkeit von Wasser ändern sich die Lebensgemeinschaften von Pflanzen und Tieren.

An den Wegen entlang des Edersees ragen die Steilhänge des Edertales auf. Felsen und Schutthalden aus Tonschiefer und Grauwacke bestimmen hier häufig das Bild. An den Süd- und Westhängen mit den extremsten Lebensbedingungen gedeiht die seltene, stark bedrohte Pfingstnelke (Dianthus gratianopolitanus). Die prachtvolle Pflanze, Großmutter unserer Gartennelken, kommt weltweit nur in Mitteleuropa vor, dabei hauptsächlich in Deutschland. Sie wächst im Kellerwald an der nördlichen Grenze ihres Verbreitungsgebietes. Von Ende Mai bis Ende Juni erfreut sie hier die Besucher mit ihrer leuchtenden Farbe.

Leben im Extremen

Schwierigste Daseinsbedingungen prägen das Leben in den Felsfluren. Schutz vor Sonnenstrahlung, vor Frost, Trockenheit und Schlagregen gibt es hier nicht. Schatten, Wasser und Nährstoffe sind hier Mangelware.
Leben im Extremen An der ungeschützten Felsoberfläche können im Sommer über +60° C herrschen, im Winter fallen die Temperaturen nicht selten unter -20° C. Temperaturunterschiede von über 80° C fordern besondere Anpassungen und Schutzmechanismen. Die Wuchsform der Pflanzen ist daher oft gedrungen, horst- oder polsterförmig. Ihr Wurzelwerk ist stark verzweigt und reicht tief in feinste Felsspalten hinein.

Zur Minderung der Verdunstung sind die Blätter der Pflanzen meist sehr klein, nadelförmig oder drahtig-stiel-rund. Sie werden oft von einer reflektierenden, weißlichen Wachsschicht überzogen. Feine, silbrig schimmernde Härchen oder eine starke weißliche, oft flaumartige Behaarung reflektieren das Sonnenlicht und schützen vor austrocknendem Wind.

Vielfältige Felslandschaft

Der Kellerwald ist ein östlicher Ausläufer des Rheinischen Schiefergebirges, entstanden in der Karbonzeit. In Jahrmillionen haben sich Bäche und Flüsse tief in das Tonschiefergestein des Gebirges eingeschnitten und an den steilen Talflanken oft schroffe Klippen und Felsgrate herausmodelliert. Besonders die sonnigen Steilhänge sind flachgründig und karg, oft ohne Humusauflage.

Die lichten Laubwälder werden von knorrig-verkrüppelten, uralten Traubeneichen geprägt. Das Gehölzwachstum ist hier aber stark eingeschränkt. Nur wenige andere Baum- und Straucharten wie Mehlbeere, Elsbeere, Birke und Espe können noch den widrigen Bedingungen trotzen. Im Fels sind es nur noch Rosen, Wacholder und Felsmispel. Die robuste Kiefer wurde vor etwa 100 Jahren vom Menschen ausgesät.
Nordischer Streifenfarn Die offenen Felsfluren des nördlichen Kellerwaldes werden vor allem von unscheinbaren Polstergräsern wie Drahtschmiele oder Schafschwingel geprägt. Dazwischen, auf Felsbänken und Vorsprüngen, wachsen die Polster der Pfingstnelke. Die Felsspalten sind von unscheinbaren Streifenfarnen besiedelt. In den offenen Fels- und Steinschuttfluren wachsen verschiedene Habichtskräuter und Pflanzen südlicher Herkunft wie Graslilie oder Schwalbenwurz. Kein Fleck im Fels bleibt unbesiedelt. Selbst vermeintlich "nackte" Felsoberflächen sind bei genauerem Hinsehen dicht von bunten Lebensgemeinschaften aus Flechten und Moosen besiedelt.

Diese Standorte sind mit ihren Extrembedingungen seit dem Ende der letzten Eiszeit nahezu unverändert geblieben. Die hier lebenden Tier- und Pflanzenarten sind entweder Reste der nacheiszeitlichen Steppenperiode oder späterer warmer Klimazeiträume. Ihr Lebensraum war nie der menschlichen Nutzung unterzogen und ist weitestgehend im Urzustand erhalten geblieben.

Die Tierwelt

Springspinne Die Tiere dieser extremen Lebensräume wollen entdeckt werden. Auch sie sind, ebenso wie die Pflanzen, an die besonderen Lebensbedingungen angepasst. Wärmeliebende Reptilienarten wie Zauneidechse (Lacerta agilis) oder Schlingnatter (Coronella austriaca) kann man mit viel Glück beim Sonnenbad beobachten. Die scheue, gut getarnte Natter bringt lebende Junge zur Welt. Ihre Beute sind die Eidechsen, deren Nahrung von den zahlreichen Kerbtierarten der eher unauffälligen Käfer, Schmetterlinge, Hautflügler, Fliegen oder Spinnentiere gebildet wird. Es sind überwiegend Spezialisten, wie der Ameisenlöwe oder der seltene Steppengrashüpfer (Chorthippus vagans). Dieser hat hier als Relikt der nacheiszeitlichen Steppenzeit bis heute Jahrtausende lang überdauert.

Beobachtungstipps

Pfingstnelken-Felsfluren am Nordrand des Nationalparks Der ins Banfetal und an der Banfebucht entlang führende Wander- und Radweg führt direkt zu den Pfingstnelken am Bloßenberg. Von dort hat man einen guten Einblick in das größte Vorkommen der Pfingstnelke in Hessen. Der aufmerksame Beobachter kann ab Mitte Mai mit bloßem Auge oder mit dem Fernglas die blühenden Nelken entdecken. Weitere Pfingstnelkenfluren findet man in der nördlichen Naturparkregion am "Nelkenstieg" bei Asel, am "Klausberg" bei Hemfurth sowie am "Sonderrain" und am "Bilstein" bei Bad Wildungen.